Zum ersten Mal seit dem Golfkrieg 1990/91 waren vergangenes Wochenende Sirenen in Jerusalem und Tel Aviv zu hören gewesen. Nachrichtensender zeigten Szenen von verwirrten Bewohnern, die rennend nach Bunkern suchten und dabei Anweisungen aufnahmen, wie sie sich beim Ertönen der Sirenen zu verhalten haben. Glücklicherweise passen sich die Menschen hier schnell an.
Längst abgehärtete Bewohner aus dem Süden versicherten ihren Freunden und Familien in Jerusalem, Tel Aviv und Rishon LeZion: „Ihr habt mehr als eine Minute, bevor die Rakete einschlägt“, sagten sie, „ hier unten haben wir nur 15 Sekunden!“.
Die Eskalation in Gaza und die israelische Reaktion alias Operation Wolkensäule ist die erste israelisch-palästinensische Eskalation, die im „neuen“ Nahen Osten entfacht ist. Die letzten zwei Jahre des Arabischen Frühlings haben den palästinensischen Fokus auf den Nahen Ostens minimiert. Stattdessen ging die Bevölkerung der Region auf die Strassen, stürzten Diktatoren und setzten neue Regierungen ein. Die Menschen im Nahen Osten suchen noch immer ihren Weg, während in Syrien das Blutvergiessen weitergeht. Israelis und Palästinenser im Westjordanland hatten ihren eigenen „Mini-Frühling“ in Form von Demonstrationen gegen Wirtschaftspolitik und Teuerung, obschon diese Themen nun vor allem für die anstehenden Wahlen eine Rolle spielen werden. Den Palästinensern in Gaza wiederum war weder erlaubt zu demonstrieren, noch eine Führung zu wählen, seit die Hamas in einem Militärstreich die Kontrolle über Gaza 2007 erlangt hatte.
Nun haben wir einen neuen Nahen Osten und eine neue arabische Welt. Ben Ali in Tunesien ist weg, Mubarak in Ägypten ist weg, Gaddafi in Libyen ist weg und Assad in Syrien wird es vermutlich nicht anders ergehen. Dieser Nahe Osten inspirierte seine Bürger dazu, die Strassen zu übernehmen, Träume und Visionen zu artikulieren und von neuen Horizonten zu sprechen. Gleichzeitig jedoch ist es der alte Nahe Osten mit islamistischer Rhetorik, Terroristen, die sich im Namen des Dschihad in die Luft springen, und mit dem gleichen alten Lied, wenn es um Israel geht.
Leider hat sich an der Dynamik des israelisch-palästinensischen Konflikts nur wenig geändert; und sogar noch weniger, wenn es um die Hamas geht. Am 14. Juni 2007, nach der Hamas-Übernahme von Gaza, verkündete der palästinensische Präsident Mahmud Abbas die Auflösung der Einheitsregierung und erklärte einen Notstandsstaat. Verschiedene Versuche wurden unternommen, um zwischen der Fatah und der Hamas zu vermitteln; ein Abkommen wurde schliesslich in Doha erreicht. Doch leider entschied sich die Hamas, ihren eigenen Weg zu verfolgen, ein Weg der islamistischen Interpretation und des kompromisslosen Kampfes gegen Israel. „Oh Allah, zerstöre die Juden und ihre Unterstützer. Oh Allah, zerstöre die Amerikaner und ihre Unterstützer. Oh, Allah, zähle sie jeder einzeln und töte sie alle und lasse keinen einzigen übrig“ sagte erst kürzlich der stellvertretende Hamas-Sprecher des palästinensischen Parlaments in Gaza, Ahmad Bahr. Die Hamas hat ihren Raketenbeschuss weiter gesteigert und Bürger in den Städten in Süd-Israel weiterhin ins Visier genommen. Die Eskalation durch die Hamas, die sich in der zunehmenden Anzahl der auf Israel abgefeuerten Raketen äusserte, führte zur Reaktion der IDF in 2008. Die aktuelle Eskalation im Konflikt folgt dem gleichen Muster.
Bis zu einem gewissen Grad ist der Verlauf der Ereignisse relativ nachvollziehbar. Die Kampagne geht weiter, mit oder ohne Bodenoffensive, während gleichzeitig Versuche unternommen werden, eine Waffenruhe zu vermitteln, die beide Seiten letztendlich akzeptieren. Die Israelis wollen mit dieser Operation Ruhe erreichen. Das Ziel ist einfach: das Ende des Raketenbeschusses aus Gaza auf Israel (seit Israel 2005 aus dem Gazastreifen abgezogen ist, wurden mehr als 9000 Raketen auf Israel abgefeuert). Für die Hamas ist das eine Tahadia, eine „vorübergehende Waffenpause“ mit dem Ziel, Zeit zu schinden vor der nächsten Stufe ihrer erklärten Kampagne.
Die Situation ist „beängstigend und traurig“ sagt mir mein lieber Freund Mohammed aus Gaza, der festsitzt zwischen weinenden Kindern, israelischen Raketen und einer Hamas-Regierung, die ihm nicht erlaubt, frei zu kommunizieren. In Gaza sind sichere Orte schwer zu finden, Raketen werden aus bevölkerten Gebieten abgefeuert und damit viele Leben vorsätzlich in Gefahr gebracht. Es gibt Tausende Lieferungen von Raketen nach Gaza und es war klar, dass sie benutzt werden würden. Der Waffenstillstand wird die Wirklichkeit nicht verändern. Er wird eine kurze Atempause verschaffen, in der sich traumatisierte Kinder ein wenig erholen können, bevor die nächste Runde des Kampfes erneut losgeht.
Es ist ein neuer Naher Osten, aber wenn es um die Akzeptanz des Anderen geht, ist weiterhin viel vom alten Nahen Osten vorhanden. In Ägypten kommen Blogger wieder ins Gefängnis, weil sie den Präsidenten der Republik beleidigt haben. In Syrien benutzt das Militär Panzer und Kanonenboote gegen die Bürger. In Syrien gibt es mehr als 40.000 Tote und es ist kein Wort eines arabischen Protests zu hören. In Jordanien kursieren erneut Gerüchte, denen zufolge Israel bald den Tempelberg zur Explosion bringe und Muslime zu seiner Verteidigung kämpfen müssten. Die Tatsachen braucht man nicht zu überprüfen. Mahmud Abbas und Benjamin Netanyahu reden weiter aneinander vorbei und die Hamas sammelt weiter Raketen an, die nun auf dem Weg nach Tel Aviv und Jerusalem sind.
Eine Operation in Gaza wird diesen Verlauf nicht verändern. Ein Wechsel wird nur möglich sein, wenn ein anderer Ton aus Gaza zu hören ist; nicht der Ton von Raketen und Terror, sondern der des Willens, mit Palästinensern und Israelis gleichermassen zusammenzukommen. Es ist eher unwahrscheinlich, dass die Hamas diese Führung übernehmen wird; doch Palästinenser haben ein Anrecht auf eine Führung, die fähig ist, eine andere Wahl zu treffen.
Die Türkei, Ägypten und die arabische Welt könnten viel unternehmen, um den aktuellen Diskurs zu verändern, der – im Gegenzug – Israel ebenfalls zu einem anderen Handeln verpflichten wird. Die Kinder von Gaza, Sderot und Ashkelon werden es ihnen verdanken, sollten sie damit Erfolg haben. Versagen sie aber, werden die Kinder aufwachsen und den Kampf fortsetzen.