Iran: Wie ein verwundeter Gaul, der im Schlamm versinkt – WELT

Der Atomstreit mit dem Iran entwickelt sich in eine gefährliche Richtung. Heiko Maas warnte seinen US-Kollegen Mike Pompeo in Brüssel vor einem Krieg mit dem Mullah-Regime.

Vor einem Jahr zogen sich die USA aus dem Atomabkommen mit dem Iran (JCPOA) zurück. Seitdem verstärkt die Administration den Druck auf den Iran: Erneuerung von Sanktionen, Einstufung der Revolutionsgarde (IRGC) als Terrororganisation, Vorbereitung auf eine mögliche militärische Konfrontation.

Quelle: WELT / Achim Unser Autoplay Der sich zuspitzende Konflikt mit den USA kommt für den Iran zur Unzeit: Das Regime befindet sich in einer Phase des inneren Niedergangs. Naturkatastrophen verschärfen die Lage. Doch die tiefe Krise macht die politische Führung noch unberechenbarer. 71 Anzeige

Der Iran antwortete, indem er seinerseits die US-Armee als Terrororganisation bezeichnete und mit einem Ultimatum an Europa in Sachen Atomabkommen. Die Frustration des islamischen Regimes ist offenkundig. In dieser fragilen Situation könnte eine Fehlkalkulation seitens des Iran einen Krieg auslösen, den niemand will.

Es ist schwer, die Reaktion des islamischen Regimes auf die amerikanischen Maßnahmen vorherzusagen, vor allem auf die Einstufung seiner zuverlässigsten Streitkräfte, des Haupttreibers seiner destruktiven außenpolitischen Abenteuer, als Terrororganisation. Wenn man bedenkt, dass die Revolutionsgarden den Löwenanteil der iranischen Wirtschaft – nach Schätzungen bis zu 70 oder gar 75 Prozent – kontrollieren, dürfte sich die konsequente Durchsetzung neuer Sanktionen auf die bereits geschwächte Volkswirtschaft verheerend auswirken. Exklusiv für Abonnenten

Iran Explodiert der Nahe Osten?

Zunächst beschränkte sich die iranische Reaktion darauf, dass Parlamentsabgeordnete als Zeichen der Solidarität und des Widerstands in IRGC-Uniformen auftraten. Außerdem gab es die üblichen flammenden Leitartikel und Erklärungen des Regimes einschließlich des Obersten Führers. Seit einigen Tagen aber verfolgt der Iran eine andere Taktik und hat Berichten zufolge seinen Stellvertretern in der Region grünes Licht gegeben, amerikanische Streitkräfte und Interessen in der Region anzugreifen. Der prominente religiöse Führer Ajatollah Yusef Tabatabai-Nedschad warnte die USA, ihre Flotte könnte „mit einer einzigen Rakete zerstört“ werden.

Die USA und ihre Verbündeten in der Region nehmen diese Drohungen ernst und haben ihre Streitkräfte in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt. Dies schafft ein echtes Dilemma für das islamische Regime. Ermuntert es seine Stellvertreter im Libanon, in Syrien, im Irak oder Jemen, auf die Politik der USA militärisch zu antworten, könnte das eine sofortige Reaktion der Fünften US-Flotte auslösen und, was wichtiger ist, Präsident Trump die Rechtfertigung für eine solche Reaktion und damit einen internationalen Vorteil liefern.

Andererseits dürfte der Verzicht auf eine solche Antwort die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Probleme der belagerten Wirtschaft und die teilweise dafür verantwortlichen außenpolitischen Abenteuer lenken, gegen die es im Iran bereits Straßenproteste gegeben hat. Exklusiv für Abonnenten

Für den Iran kommt der amerikanische Druck zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Sintflutartige Überschwemmungen haben das Land von den Ufern des Kaspischen Meeres im Norden bis zu den Ebenen Chuzestans im Süden verheert. Städte und Dörfer wurden zerstört, Überlebende fanden sich abgeschnitten und im Stich gelassen. Straßen und Brücken wurden weggeschwemmt, Stromleitungen unterbrochen, sodass es in vielen Landesteilen fast unmöglich war, Hilfsgüter zu liefern.

Der Schaden wurde durch vierzig Jahre absichtlicher Vernachlässigung des Umweltschutzes verstärkt, was in vielen Teilen des Landes die Wut schürt. Die Abholzung der uralten dichten Regenwälder am Kaspischen Meer, die absichtliche Trockenlegung der Marschgebiete Chuzestans, die unverantwortlichen Ölbohrungen in Gebieten wie Hur al-Asim im Süden, schlecht gebaute Straßen und Dämme, die unter den Wassermassen zusammenbrachen: In jeder dieser Katastrophen ist die Handschrift der Revolutionsgarde erkennbar. Der Zorn ist so elementar, dass sich in vielen Gebieten Regierungsbeamte aus Angst vor der Bevölkerung gar nicht erst blicken lassen.

Nehmen wir die wichtigste Öl-Provinz des Iran: Chuzestan. Schon vor den Überschwemmungen gab es dort Probleme: Wasserknappheit, Umweltzerstörungen, hohe Arbeitslosigkeit, vor allem unter der Jugend, und verbreitete Diskriminierung und Unterdrückung der ansässigen Bevölkerung. Die Flut und die schleppende Antwort der Regierung haben alles noch schlimmer gemacht. In anderen betroffenen Gebieten ist es nicht viel anders.

Saudi-Arabien beschuldigt den Iran – und bombardiert Sanaa

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Quelle: WELT

Riad hat den Iran für den Drohnenangriff auf eine der wichtigsten saudiarabischen Ölpipelines verantwortlich gemacht. Als Vergeltung ließ Riad die jemenitische Hauptstadt bombardieren.

Der Volkszorn ist so tief und weit verbreitet, dass das islamische Regime den unerhörten Schritt gewagt hat, schiitische Milizen aus dem Irak in das Land zu lassen. Karawanen der Haschd-al-Schabi-Kämpfer treiben sich inzwischen in iranischen Städten wie Ahwaz, Dezful und Abadan herum.Anzeige

Die Revolutionsgarde behauptet, sie seien gekommen, um den Überschwemmungsopfern zu helfen. Doch auf der Straße erzählen sich die Iraner, dass die Milizen geholt wurden, um die Menschen in Chuzestan einzuschüchtern und bei der Unterdrückung von Aufständen zu helfen, sollte sich der Volkszorn wie 2017 auf den Straßen Luft machen. So stauen sich also nicht nur die angeschwemmten Schutt- und Holzmassen, sondern auch Frustration und Wut.

Niemand kann sagen, wie die Zukunft des islamischen Regimes aussieht, aber der Ausblick ist düster. Das Regime ähnelt einem verwundeten alten Gaul, der im Schlamm versinkt. Vielleicht stirbt es an tausend kleinen Wunden eher als an einem einzigen Schlag. Doch könnte die Aussicht auf ein langsames Verbluten dem Szenario eines orchestrierten Heldentods Attraktivität verleihen. Ein weiterer Grund, die US-Streitkräfte in Alarmbereitschaft zu versetzen.

Nir Boms ist Mitgründer von „CyberDissidents.org" und Research Fellow am Thinktank Moshe Dayan Center for Middle Eastern and African Studies in Tel Aviv
Nir Boms ist Mitgründer von „CyberDissidents.org” und Research Fellow am Thinktank Moshe Dayan Center for Middle Eastern and African Studies in Tel Aviv Quelle: Nir Boms

Mitarbeit: Shayan Arya, Iranexperte und Menschenrechtsaktivist. Er ist Mitglied der Constitutionalist Party of Iran mit Sitz in den USA.

Aus dem Englischen von Alan Posener


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